Sternenkinder

TRIGGERWARNUNG!

Das erste Sternenkind das ich gesehen habe, werde ich nie vergessen. Eine kleine Handvoll Kind. Das ist jetzt fast 30 Jahre her, ich war Hebammenschülerin, 18 Jahre alt und völlig überfordert mit der Situation. Ich kam zu meinem Dienst und wollte im Nebenraum Medikamente holen. Da stand vor mir unsere Stationsärztin, eine Nierenschale mit einem Tuch in der Hand und diesem winzigen Kind darauf. Ich weiß noch, wie ich sie fassungslos anstarrrte. Warum war kein Kinderarzt da? Kein Inkubator, nichts? Ich musste damals gar nichts sagen, auf meinen entsetzten Blick erwiderte sie nur: „Anenzephalie“ Ich wusste, nicht heilbar, Lebenserwartung Minuten bis wenige Tage. Es war ein fürchterliches Gefühl. Nur wenige Atemzüge, dann schlief dieses kleine Wunder wieder ein. Der bestellte Inkubator wurde ungenutzt wieder zurückgeschickt.
Die weinenden Eltern im Kreissaal wollten und konnten ihr Kind nicht sehen. Zu groß war die Angst, wie entstellt es sein könnte, es gab zu wenig Unterstützung und kaum Hilfsangebote für sie. Sie waren völlig überfordert mit der Diagnose und der Situation.

Zusammen mit der Ärztin machte ich bunte Abdrücke der winzigen Füßchen und Händchen und wir wickelten das Kind in anderes Tuch ein. Manche Eltern schafften es nach einiger Zeit, zumindest diese anzusehen, Abschied zu nehmen vom dem Baby, das sie nicht im Arm halten konnten.

Andere Sternenkinder folgten, immer begleitet von diesem Gefühl der Hilflosigkeit, an jedes einzelne kann ich mich erinnern.

Mein kleines Kind

2002 erschien der Dokumentarfilm „Mein kleines Kind“ von der Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten. Ein Film der die Entscheidung begleitet, die Schwangerschaft nicht abzubrechen, obwohl klar ist, dass das Kind in der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt versterben wird. Ich hatte inzwischen Sozialpädagogik studiert und arbeitete in eine Beratungsstelle für Schwangere. Ich weiß noch, dass der Film für mich einen Wendepunkt markierte. Die Bedeutung, dass eigene Kind zu sehen, Abschied zu nehmen, aber es vor allem es erst einmal anzunehmen, war inzwischen viel mehr ins Bewußtsein gerückt. Es gab vermehrt Studien über die Trauerbewältigung bei Fehl- und Todgeburt, mehr Bücher darüber und die ersten Vereine und Selbsthilfegruppen waren entstanden. Ich arbeitete im Fachbereich Pränataldiagnostische Beratung, hatte Frauen und Paare mit niederschmetternden Diagnosen, aber immer öfter gab es auch den Mut, keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen und das Kind auf die Welt zu bringen.
Ich möchte es an dieser Stelle ganz klar sagen: Für mich gibt es hier kein richtig oder falsch. Jede Frau, jedes Paar muss für sich entscheiden, niemand sollte von außen darüber urteilen.

Das Aufarbeiten, die Trauerbewältigung, all das hat sich mit den Jahren geändert und ich bin froh darüber. Trotzdem ist es immer noch ein Tabuthema. Kaum jemand spricht über die „stillen“ oder „kleinen Geburten“. Manchmal ist es die Unverständnis, dass man ein Kind betrauert, dass noch gar nicht „richtig da war“.
Aber noch öfter ist es eine große Unsicherheit, die nicht selten zu unbedachten und verletzenden Äußerungen führt: „Es war doch noch kein Baby“ und „versucht es halt einfach nochmal“ sind Sätze, die Betroffenen unfassbar weh tun und ihre Trauer herabsetzt, so als hätten sie weniger Recht dazu, weil das Kind ja noch kein „richtiges Kind“ war.

Aber wie geht man um mit der Trauer, die einen zu überwältigen droht?

Mit dem Neid auf andere, die mit dem Babybauch oder die Paare, die sich beklagen über die anstrengenden Kleinkinder, während man selbst alles tun würde, um zu tauschen?!

Trauer braucht Zeit und Raum

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann gibt es Rituale die uns helfen, den Verlust zu verarbeiten. Es gibt eine Trauerfeier, Blumen, Menschen die ihr Beileid aussprechen usw. Es ist klar, dass es dauern wird, den Verlust zu verarbeiten, nahezu jeder kennt den Begriff des „Trauerjahres“.
Bei einer Schwangerschaft, gerade bei einer die man so lange geplant und für die man soviel in Kauf genommen hat, ist der Gedanke an das Kind schon viel früher da, es ist „hier“, in Gedanken, im Gefühl und irgendwann auch im Bauch. Und wenn es sich dann wieder verabschiedet, viel zu früh, dann hat es schon viel Zeit mit uns verbracht, viel mehr als die wenigen Schwangerschaftswochen. Es war vom Beginn des Kinderwunsches da, als eine ganz reale Möglichkeit.
Aber noch immer gibt es in unserer Gesellschaft wenig Rituale, dieses Kind zu verabschieden.

Coaching und Trauer

Ich tue mich schwer damit hier die Methoden aufzuzählen, die es gibt, Trauer zu bewältigen. Denn so unterschiedlich wie Menschen trauern, so unterschiedlich sind auch die Möglichkeiten, diese Trauerbewältigung zu unterstützen. Einigen hilft es, einfach einen Ort zu haben, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. An dem nicht geurteilt wird und der Schmerz einen Platz bekommt.
Andere müssen sehr kognitiv an diesem Thema arbeiten, und das Ganze erst einmal richtig verstehen, um es zu verarbeiten.

Manche Frauen erzählen, dass es sich anfühlt wie ertrinken, sie schwimmen und schwimmen um oben zu bleiben. Hier kann man z.B. gut mit „Ankern“ arbeiten, symbolisch und haptisch. Was löst der gereichte kleine Anker aus? Was gibt Halt? Wer gibt Halt?
Dabei geht es darum Ressourcen zu finden, die unterstützen. Das können Menschen sein, die einem nahe stehen und mit denen man reden oder auch zusammen schweigen kann. Oder Aktivitäten, die wieder Halt und Mut geben. Im Coaching wird dann festgehalten, was alles genannt wird und überlegt, was davon umgesetzt werden kann.

Unterstützung finden

Oft braucht es Informationen und Unterstützung bei den nächsten Schritten:
Kürettage (umgangssprachlich „Ausschabung“) oder abwarten bis der Körper die Schwangerschaft beendet?
Wer begleitet dabei? Was, wenn mein Arzt eine andere Entscheidung von mir möchte? Viele wissen auch nicnt, dass Hebammen die kleinen Geburten begleiten und unterstützen können. Ich arbeite mit einigen Hebammen zusammen, die ich in dem Fall hinzuziehen kann.
Kann mein Kind beerdigt werden? Wie und Wo?
Hier gibt es z.B. den Sternengarten in Wiesbaden, ich helfe gerne bei allen notwendigen Formalien.

Ich vermittele auch an Selbsthilfegruppen, weil ich den Austausch mit Betroffenen unglaublich wichtig finde. Aber auch da braucht es häufig Zeit und Mut, diese aufzusuchen.

Paare sind sehr gefordert. Das sind sie generell beim Thema unerfüllter Kinderwunsch, aber hier ist es besonders schwer. Oftmals übernimmt einer den „starken“ Part, um den vermeintlich Schwächern zu stützen. Was nach außen wie Stärke aussieht, ist aber oft nur ein Funktionieren. Die Gefühle werden gedeckelt, weil der Alltag irgendwie gestemmt werden muss, die Arbeitsstelle einen fordert und man auch nicht dem anderen zur zusätzlichen Belastung werden will. Das kann schnell zu Spannungen und Konflikten führen, weil einer oder beide sich nicht gesehen fühlen.
Hier geht es im Coaching darum, beide wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Wertfrei sein und anzuerkennen, dass der Partner/die Partnerin nunmal anders trauert, aber das eine nicht weniger wert ist als das andere. Oder auch auszusprechen, was man braucht, was stört, was man vermisst.
In diesem Rahmen müssen gar nicht unbedingt beide anwesend sein. Oft fällt es dem einen leichter zum Coaching zu kommen, trotzdem können Paarprobleme bearbeitet werden. Es gibt verschiedene Techniken den Partner miteinzubeziehen, ohne dass er da ist. Eine bekannte ist die Arbeit mit dem „leeren Stuhl“, aus der Gestalttherapie. Durch bestimmte Fragetechniken soll der Partner besser verstanden werden und ein Perspektivwechsel gelingen.

Ich überlege immer zusammen mit meinem Gegenüber welche Methode wir einsetzen und erkläre auch, weshalb ich genau diese vorschlage. Dein Bauchgefühl entscheidet, was du tun willst und wenn du merkst, das ist es nicht, versuchen wir etwas anderes. Gerade bei Trauer verändern sich Gefühle schnell, deshalb ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und zu schauen, was dir gerade gut tut.